Eine nackte Zahl ist der Titel. Vorerst gibt sie sich hermetisch: keine weiteren Angaben folgen. Erste Assoziationen werden in Verbindung mit dem Bild auf der Einladungskarte freigesetzt. Ein Gruppe von Menschen geht. Fliehen sie? Hasten sie bloss auf den Zug? Oder auf die Hundwiler Höhe? Die Belichtung signalisiert Dramatik, funktioniert wie Scheinwerfer eines Fahrzeuges, Geheimnisvollem, vielleicht Illegalität, auf der Spur.

 

Birgit Widmers Karte zur Ausstellung «1817» ...

 

Birgit Widmer setzt für den Schaukasten Herisau ein Stück Geschichte in Poesie, in inhaltlich verdichtete Bilder um. 1817 ist eine Jahreszahl, das Jahr des Hungers in der Ostschweiz, eine Folge verschiedener Faktoren wie der Nachkriegskrise, protektionistischer Handelspolitik, Absatzstockungen gefolgt von Überproduktion und nachfolgender Arbeitslosigkeit, sowie Ernteausfällen im Vorjahr. Es kommt zu zahlreichen Abwanderungen. Insbesondere Russland verheisst für viele Ausserrhoder, auch Herisauer, Erlösung von Armut und Not, nichts zuletzt wegen bereits bestehenden Verbindungen etwa über den Textilhändler Johannes Walser aus Herisau, der ausser mit Stoff mit Ansichtskarten handelte und im Walserhaus in Herisau eine Kupferstecherei betrieb. Über die verschiedenen Fakten geben im Schaukasten Auszüge aus der Forschungsarbeit von Marta Oberarzbacher Auskunft.

 

... und die Ausstellung im Schaukasten Herisau.

 

Zwei Skulpturen aus Holz deuten zwei Lebensmittelpunkte an, offene Hausteile, die zusammen einen unvollständigen Würfel ergeben. Dazwischen spannt sich metaphorisch und in der Reduktion der Leere die Bewegung von da nach dort aus. Das Haus als Bild für Heimat bleibt unvollständig, fragmentiert. Sehnsucht breitet sich aus.
Ausgehend von historischen Tatsachen und unterlegt vom eigenen biografischen Erfahrungshintergrund unterschiedlicher Heimaten öffnet Birgit Widmer mit «1817» eine modellhafte Situation für den Spannungsbogen zwischen häuslicher Idylle und existentieller Not und für die alten Fragen nach dem Woher und dem Wohin.

Das Schaffen von Birgit Widmer gibt sich still und unprätentiös. Zeichnungen, Radierungen, Fotografie, Holzschnitzereien könnten leicht übersehen werden. Wäre da nicht ihre präzise der Intuition folgende Kraft, die den scheinbar überholten Medien Zeitgenossenschaft verleiht. Birgit Widmers Arbeiten rühren in den Untiefen der Seele. Die an der sichtbaren Wirklichkeit orientierten Arbeiten visualisieren in poetischer Dichte und offenen Erzählungen existentielle Zustände wie Angst, Melancholie, Neugierde, Sehnsucht, Liebe, Einsamkeit, Tod oder auch einfach Alltag.

Ursula Badrutt Schoch

 

Birgit Widmer ist 1964 geboren. Sie lebt und arbeitet in Gais.

 

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